Die Annalise-Wagner-Stiftung verleiht den Annalise-Wagner-Preis 2019 an die Dokumentation „Domjücher Schicksale“ von Reinhard Simon und lädt herzlich ein zur öffentlichen Preisverleihung am 28. Juni 2019 um 18 Uhr in der Regionalbibliothek Neubrandenburg!

Die Dokumentation „Domjücher Schicksale: Patienten der Heil- und Pflegeanstalt Domjüch bei Neustrelitz in der Zeit des Nationalsozialismus“ (ISBN 9783946732549) von Reinhard Simon aus Neustrelitz wird mit dem 28. Annalise-Wagner-Preis ausgezeichnet.

Die öffentliche Verleihung des 28. Annalise-Wagner-Preises findet am 28. Juni 2019 um 18 Uhr in der Regionalbibliothek Neubrandenburg statt. Die Laudatio für Reinhard Simon hält Dr. Kathleen Haack vom Arbeitsbereich Geschichte der Medizin an der Universitätsmedizin Rostock.

Der Annalise-Wagner-Preis der Annalise-Wagner-Stiftung aus Neubrandenburg würdigt Texte, die Besonderes beitragen zum „Gedächtnis“ der historischen Region Mecklenburg-Strelitz im Landkreis Mecklenburgische Seenplatte, ist mit 2.500 Euro dotiert und wird in diesem Jahr gefördert durch die Neubrandenburger Wohnungsgesellschaft mbH und den Landkreis Mecklenburgische Seenplatte.

Der ausgezeichnete Text gehört zu den verdienstvollen Publikationen zur regionalen Geschichte, Kultur- oder Naturgeschichte, die als Ergebnis von Bürgerforschung im Ehrenamt (Citizen Science) entstehen. Und er ist ein Beispiel für „kleine Texte“ mit großem Potential als Impulsgeber für lebendige demokratische Erinnerungskultur, aktives bürgerschaftliches Engagement und gesellschaftlichen Diskurs in der Region.

Reinhard Simon lebt in Neustrelitz und ist Verwaltungsangestellter im Naturschutzbereich. 2015 las er einen Artikel über die nationalsozialistischen „Euthanasie“-Morde an psychisch kranken oder behinderten Menschen aus psychiatrischen Einrichtungen in Mecklenburg. Und er erfuhr: Auch an einem historischen Ort „vor der Haustür“ spielte dieses dunkle Kapitel der Regionalgeschichte, in der Heil- und Pflegeanstalt Domjüch“ am Domjüchsee bei Neustrelitz. Seitdem engagiert sich Reinhard Simon dafür, möglichst vielen Opfern der „Euthanasie“-Morde aus „der Domjüch“ ihren Namen zurück zu geben – und damit ein Zeichen zu setzen für die Einzigartigkeit jeder Persönlichkeit und für die Würde jedes Menschen. 2015 wurde er Mitglied im Verein zum Erhalt der Domjüch e.V.“ und initiierte 2016 eine Erinnerungsstätte für Opfer von Zwangssterilisationen und „Euthanasie“-Morden aus der Domjüch. Er unterstützt den virtuellen Gedenk- und Informationsort www.gedenkort-t4.eu und sucht ehrenamtlich immer weiter nach Namen und biografischen Zeugnissen dieser lange vergessenen NS-Opfer.

„Für mich ist es das Wichtigste“, schreibt Reinhard Simon, „die Opfer dieser menschenverachtenden Vernichtung psychisch und körperlich Kranker nicht zu vergessen und alles dafür zu tun, dass diese Verbrechen nie wiederholt werden. Dazu möchte ich auch mit diesem Buch beitragen.“

In seiner Publikation veröffentlicht er zum ersten Mal alle 62 bisher bekannten Namen der NS-Opfer aus „der Domjüch“ – und verankert sie auf diese Weise nachhaltig im Gedächtnis der Region. Am regionalen Beispiel spannt die Dokumentation seiner Spurensuche einen Bogen vom „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ (14. Juli 1933) zu den „Euthanasie“-Patientenmorden in der „Aktion T4“ (1940-1941) und bis ins Jahr 1945. Der Autor entwirft ein – für die schwierige Quellenlage – erstaunlich plastisches Bild davon, „was sich in der dunklen Zeit auf der Domjüch abgespielt haben könnte“. Dabei beschreibt er u. a. erstmals, wie das sogenannte „Erbgesundheitsgericht“ arbeitete, das ab 1934 dem Amtsgericht Neustrelitz angegliedert war und über Zwangssterilisationen in Mecklenburg-Strelitz entschied. Berührend ist sein konsequent biografischer Ansatz: Er erzählt von den NS-Verbrechen anhand von vielen Einzelschicksalen, soweit möglich mit biografischen Lebensskizzen, aber auch anhand kleinster Lebensspuren.

In der Begründung der Jury zur Preisvergabe heißt es: „Reinhard Simons Dokumentation ersetzt nicht die Auseinandersetzung mit der wissenschaftlichen medizingeschichtlichen Forschung zur Heil- und Pflegeanstalt Domjüch in der NS-Diktatur. Doch in einer Zeit, in der die Erinnerung an das Geschehen vor mehr als 80 Jahren in das kulturelle Gedächtnis übergeht, kann diese Publikation etwas ganz Besonderes: Sie kann durch ihre im doppelten Sinne ‚leichte‘ Zugänglichkeit und durch ihren biografischen Ansatz viele Menschen in der Region erreichen und aufmerksam machen auf lange vergessene NS-Opfer und auf den wenig bekannten Erinnerungsort an NS-Gewaltverbrechen am Domjüchsee. Sie widerspiegelt und sie ist aktives Bürgerengagement gegen das Vergessen – und sie regt dazu an, dafür selbst aktiv zu werden. Sie ist eine persönliche Form lebendigen Erinnerns an ein dunkles Kapitel der Regionalgeschichte, das uns heute Wichtiges zu sagen hat – und sie fordert indirekt, leise, aber nachdrücklich dazu heraus, sich Gedanken zu machen über Menschenwürde, Menschenrechte und medizinethische Fragen.

Deshalb möchte die Jury an diesem Beispiel ein Zeichen setzen für Anerkennung und Wertschätzung regionalgeschichtlicher Bürgerforschung im Ehrenamt und für die dabei entstehenden Publikationen. Diese vielfältigen - manchmal ‚kleinen‘ - Publikationen“ sind es, die im regionalen kulturellen Gedächtnis anregende Akzente setzen, Regionalgeschichte wie Erinnerungskultur zu einem lebendigen Prozess machen und dabei eine Facette zum Leuchten bringen, die auch Annalise Wagner vorlebte: aktives, engagiertes, nachhaltiges Bürgerengagement für das ‚Gedächtnis der Region‘.“

Zum Download: 

Annalise-Wagner-Preis 2019, Jurybegründung (PDF)
Annalise-Wagner-Preis 2019, Presseinformation (PDF)

 

Mehr Informationen gibt es bei der Geschäftsstelle der Annalise-Wagner-Stiftung:
Kontakt: Telefon 0395 / 5551333, Mail Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, Ansprechpartner: Heike Birkenkampf

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