„Eine Flaschenpost aus dem KZ“ : Neubrandenburger Regionalbibliothek, Geschichtswerkstatt zeitlupe der RAA MV, Annalise-Wagner-Stiftung und Förderverein der Regionalbibliothek erinnern an eine außergewöhnliche „Geschichte zur NS-Geschichte“ aus Neubranden
Anlässlich des 80. Jahrestages der Befreiung geht es bis Mitte Juni in der Neubrandenburger Regionalbibliothek insbesondere um die Erinnerung an die Befreiung des Frauen-Konzentrationslagers Ravensbrück mit seinen Außenlagern in Neubrandenburg sowie des Kriegsgefangenlagers Neubrandenburg-Fünfeichen. Unter dem Motto „Erinnern was war – für jetzt und die Zukunft“ gibt es viele Lesetipps zu entdecken – darunter Preisträger-Texte des Annalise-Wagner-Preises der Annalise-Wagner-Stiftung - sowie zwei Ausstellungen der Geschichtswerkstatt zeitlupe der RAA MV und ein „BiboCafe“ des Fördervereins der Regionalbibliothek zu neuen Formen des Erinnerns.
In den beiden Ausstellungen spielt der Annalise-Wagner-Preis 2012 eine besondere Rolle: Der Preisträgertext „Ein Schmuggelfund aus dem KZ“ von Dr. Constanze Jaiser und Jacob Pampuch (Metropol Verlag) macht aufmerksam auf eine außergewöhnliche Geschichte aus der NS-Zeit, die vor genau 50 Jahren in Neubrandenburg entdeckt wurde. Am 24. Mai 1975 wurde im Wald bei Neubrandenburg-Fünfeichen eine „historische Flaschenpost“ ausgegraben. Es war ein Glas mit 14 Briefen, 37 Gedichten, kleinen Kunstwerken und Namenslisten zu Erschießungen und medizinischen Experimenten im Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück. Polnische Mädchen und Frauen hatten diese Dokumente 1943 unter Todesgefahr aus dem Konzentrationslager zu polnischen Kriegsgefangenen im Lager Neubrandenburg-Fünfeichen geschmuggelt „damit die Welt es erfährt…“ was im KZ geschah. Es sind bewegende Zeugnisse für Angst und Überlebenswillen, für Verzweiflung und Mut zum Widerstand. Und sie erzählen davon, wie die jungen Frauen Kraft schöpften aus Poesie und Kunst sowie aus ihrem eigenen Ringen um Menschlichkeit und Menschenwürde. Die polnischen Kriegsgefangenen fanden Wege, diese Informationen von Neubrandenburg aus weiterzuleiten nach Polen bzw. an die BBC. Als im Kriegsgefangenenlager Entdeckung drohte, vergruben sie die Dokumente im Wald. Dank der genauen Erinnerung eines Überlebenden wurden sie 1975 gefunden und an das Museum des Konzentrationslagers Auschwitz übergeben.
Diese Geschichte erzählt die Wander-Ausstellung „Eine Flaschenpost aus dem KZ“ in deutscher und in polnischer Sprache. Sie wurde gemeinsam gestaltet von jungen Leuten aus Neubrandenburg und aus der Partnerstadt Koszalin. 2015 bis 2016 setzten sich die Schülerinnen und Schüler kreativ damit auseinander im Jugend-Erinnerungsprojekt der beiden Partnerstadt-Bibliotheken, gefördert von der Stiftung EVZ und dem Deutsch-Polnischen Jugendwerk. Als Projektergebnis entstanden u. a. 8 bunte Rollups, die seitdem sowohl in Polen als auch in Deutschland „wandern“ durch Bibliotheken, Schulen, Jugendeinrichtungen, Kasernen, Museen, Hochschulen usw. In Deutschland wird das organisiert und pädagogisch begleitet von der Geschichtswerkstatt zeitlupe der RAA Mecklenburg-Vorpommern in Neubrandenburg. Übrigens wurde auch eine andere nachhaltige Idee aus dem Jugendprojekt realisiert: Am Eingang des Gedenkortes Lager Neubrandenburg-Fünfeichen erinnert eine Stele an die „Flaschenpost aus dem KZ“, im Jahr 2023 gemeinsam eingeweiht durch Neubrandenburger Bürgermeister, Koszaliner Stadtpräsidenten und polnischen Vizekonsul.
Die zweite Ausstellung ist zum ersten Mal zu sehen – und das rund um die Uhr: In den Bibliotheks-Schaufenstern zeigt die Geschichtswerkstatt zeitlupe der RAA MV die druckfrische Plakatausstellung „Ein Schmuggelfund aus dem KZ“. Die (Arbeits-)Blätter aus der gleichnamigen Projektmappe waren die Grundlage des polnisch-deutschen Jugend-Erinnerungsprojektes. Sie machen neugierig darauf, welches besondere Potential dieser Dokumentenfund hat für die kreative Auseinandersetzung mit „Erinnerung, Kunst und Menschenwürde“. QR-Codes lassen die Geschichte des Fundes und Gedichte, Briefe oder Interviews mit Zeitzeugen erklingen.
Die Geschichte der „Flaschenpost aus dem KZ“ aus Neubrandenburg gehört auch zu Mosaiksteinen eines innovativen Erinnerungs-Projekts der RAA Mecklenburg-Vorpommern an NS-Geschichte. Unter dem Titel „überLebenswege“ führt es digital an 8 Orte zur NS-Geschichte in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg und regt ganz neue, digital mögliche Wege an, um über die NS-Zeit zu lernen und eigene Formen der Erinnerung zu finden. Das Booklet „#DigiHistoryGuide : Lokale Spurensuche und digitale Erinnerungswerkstätten“ liegt in der Regionalbibliothek zum Mitnehmen bereit. Am 20. Mai 2025 stellte Dr. Constanze Jaiser die Ideen rund „überLebenswege“ im BiboCafe des Fördervereins der Regionalbibliothek zahlreichen Interessierten vor.
Wenn Regionalbibliothek, Geschichtswerkstatt zeitlupe der RAA MV, Annalise-Wagner-Stiftung und Förderverein der Regionalbibliothek gemeinsam so zugänglich und aktuell an die Geschichte der Neubrandenburger „Flaschenpost aus dem KZ“ erinnern, ist das ganz im Sinne von Netzwerken demokratischer Erinnerungskultur, von Bibliotheken als „wichtigen Orten der Informations- und Erinnerungskultur“ (Deutscher Bibliotheksverband e.V. dbv) und nicht zuletzt im Sinne des Credos der Heimatforscherin und Stifterin Annalise Wagner (1903-1986): „Wir müssen unser Gedächtnis an die Geschichte wachhalten, denn ohne dieses Gedächtnis können wir unser Heute nicht begreifen.“
Mehr Informationen:
Regionalbibliothek Neubrandenburg
Öffnungszeiten:
montags und mittwochs 13 – 18 Uhr,
dienstags, donnerstags, freitags 10 – 18 Uhr,
samstags 10 – 14 Uhr
Geschichtswerkstatt zeitlupe der RAA MV in Neubrandenburg;
Projekt überLebenswege;
Annalise-Wagner-Stiftung, Annalise-Wagner-Preis
Förderverein der Regionalbibliothek Neubrandenburg e. V.