Herr Rainer Szczesiak hat mit seinem Buch ein interessantes
Thema hochmittelalterlicher Geschichte unseres Raumes
aufgegriffen. Das Vorgehen des Autors kennzeichnet ihn als
seriösen Wissenschaftler. Nicht die Prillwitzer Idole
stellt er eigentlich in den Mittelpunkt seiner
Darstellung, sondern er bettet diese tolldreiste Fälschungsgeschichte
mehrfach ein: Zum einen in die Geschichte des Niedergangs
der slawischen Besiedlung im Tollenseseeraum, in der das
lutizische Hauptheiligtum Rethra eine bedeutende Rolle
gespielt haben muß. Zum zweiten in die Suche nach dem
historischen Rethra, die im 18. Jahrhundert begann, und
zum dritten in die aktuelle Diskussion um Rethra, zu der
die Archäologen mit ihren Beiträgen stets Neues
beigesteuert haben. Zum vierten wird dann die
sensationelle Auffindung der Prillwitzer Idole, die als
Beweis für die Existenz Rethras an der fiktiven
Fundstelle herhalten mussten, und die Geschichte der verführten
und verführenden Fälscher, die der Sponholz-Brüder erzählt.
Geschickt verbindet der Autor diese unterschiedlichen Erzählstränge,
um immer wieder von allgemeinerer Interessenslage
ausgehend im positiven Sinne aufklärerisch über die
komplizierten historischen Abläufe und deren Aufhellung
durch die Forschung zu informieren.
Bevor ich aber nun über das zwischen zwei Buchdeckel
gepackte Wissen, den Corpus delicti sozusagen, berichte,
einige Worte zum Autor. Herr Szczesiak wurde am 5. 10.
1959 in Neubrandenburg geboren, ist verheiratet und hat
zwei Kinder. Nach seiner Schulzeit machte er eine Lehre
als Uhrmacher. In den Jahren 1983 bis 1987 studierte Herr
Szczesaik am Museum für Deutsche Geschichte in Berlin und
schloss als Diplom-Museologe (FH) ab. 1989 begann er ein
Studium der Ur- und Frühgeschichte, der
Geschichtswissenschaft und der Kunstgeschichte an der
Humboldt-Universität Berlin, das er 1996 an der
Greifswalder Universität mit dem Titel eines Magister
Artium abschloss. Seit 1982 arbeitet Herr Szczesiak am
Regionalmuseum in Neubrandenburg. Seit 1980 war Herr
Szczesiak als ehrenamtlicher Bodendenkmalpfleger tätig
und wirkte im Jugendklub „ Heinrich Schliemann“ mit,
dessen Leitung er seit 1992 inne hat. Seine
wissenschaftlichen Interessen, die sich auch aus den
Ausstellungen im Museum und seinen zahlreichen Veröffentlichungen
ergeben, sind prähistorische, mittelalterliche und frühneuzeitliche
Geschichte Ostmecklenburgs.
Nach einem historiographischen Überblick über die
Slawenforschung im Allgemeinen, die Rethraforschung im
Besonderen - und den Anteil von Neubrandenburger
Forscherpersönlichkeiten an ihr - wird die Geschichte der
jungslawischen Zeit erörtert. Es folgt ein Abschnitt über
den slawischen Befestigungsbau. Im Kapitel „Rethra im
Spiegel der mittelalterlichen Schriftquellen“ werden
alle bekannten Textstellen aus Schriftquellen
herangezogen. Herr Szczesiak muss konstatieren, daß sie
uns nur ungenau über den tatsächlichen topographischen
Ort Auskunft geben, so wie dies auch für Vineta der Fall
ist. Herrn Szczesiaks Skepsis hinsichtlich der in manchen
Geschichtsdarstellungen zu findenden Überbewertung der
Bedeutung Rethras, dessen Existenz im Zeitfenster 1005 -
1068 gesichert ist, ist wohl beizustimmen. Die Frage nach
dem „Wo lag es nun, dieses Rethra?“, stellt der Autor
an dieser Stelle seiner Ausführungen. Der Ur- und Frühgeschichtler
Szczesiak hat nun die Möglichkeit, seine Fachdisziplin in
die Suche mit ein zu bringen. Zuvor beklagt er zu recht,
daß Archäologie und Schriftgeschichtsschreibung zu
einander kommen wollen, aber wegen unterschiedlicher
Sprachen nicht können. Die beweiskräftige Zuordnung von
Funden und Befunden zu einem historisch überlieferten
Volk ist schwierig, zumal in so einem kleinräumigen
Zusammenhang, wie es derjenige der lutizischen Stämme
ist. Die Lutizenstämme
haben darüber hinaus auch eine relativ homogene
Kultgemeinschaft gebildet. Die Archäologie hat in den
letzten fünfzig Jahren beträchtlichen Zugewinn an
Erkenntnissen über Kultur und Lebensweise der Westslawen
erbracht. Es ist dem Autor wohl zuzustimmen, wenn er
formuliert: „ Im Grunde ist immer noch die Archäologie
Informationslieferant Nummer eins. Denn nur aussagekräftige
Bodenfunde können letztlich den Beweis für die
Entdeckung Rethras erbringen.“ Der Optmismus, der aus
der Hoffnung auf einen schlüssigen Beweis spricht,
begleitet den Leser, wenn der Autor 15 Örtlichkeiten
benennt, die mit Funden und Befunden in Zusammenhang mit
Rethra gebracht werden. Herr Szczesiak erklärt nun, was
eigentlich zu suchen ist. Es geht wohl weniger um eine Frühstadt,
sondern um eine slawische Wallburg, die sich in
exponierter Lage an oder in einem See befand und von einem
mächtigen Wald umgeben war. Drei Tore sollen vorhanden
gewesen sein. In der Burg lag der Haupttempel mit der
Gottheit der Lutizen. Doch ohne größere Infrastruktur wäre
ein solches Heiligtum nicht denkbar gewesen, zumindest
musste eine entsprechende Zuwegung vorhanden gewesen sein,
überdies wäre auch an einen Platz für ein Militärlager
und an einen Markt zu denken. Unabdingbar müssen in der Nähe
der Wallburg Flächen für eine ausreichende
landwirtschaftliche Produktion vorhanden gewesen sein. All
dies lässt eine Vielzahl von Fundarten möglich
erscheinen, da die Tempelburg ein vielbesuchter Ort
gewesen sein muss. Ich will hier nicht die einzelnen
Argumentationen für und wider diese fünfzehn Standorte
besprechen, dazu empfehle ich ausdrücklich die eigene
Lektüre. Der Autor stellt sie chronologisch nach ihrer
Ersterwähnung als möglicher bzw. tatsächlicher Ort des
sagenumwobenen Rethra vor. Die Nennung der Orte will ich
mir aber doch nicht versagen, um den Kernraum sichtbar zu
machen: Burg Stargard, Wanzka, Feldberg,
Tollensesee-Liepsraum - und hier besonders Prillwitz,
Usadel und die Fischerinsel, Broda, Gatsch-Eck, Halbinsel
Nonnenhof. Die Quintessenz aus den Ausführungen ist: „Rethra
liegt weiterhin im Dunkeln der Geschichte verborgen. Daher
heißt es auch für die Zukunft: ‚Auf der Suche nach
Rethra!‘“
Bis hierher war es spannend für den an Geschichte
Interessierten. Es folgt nun der aberwitzige Fall der gefälschten
„Prillwitzer Idole“, die nur möglich waren, da
selbsternannte Experten Scharlatanen auf den Leim gingen
und zugleich ein Markt für solche Kunst da war. Auf der
Suche nach ihren slawischen Wurzeln verhalf das
Herzogshaus solchen Machenschaften zu einer zeitweiligen
Anerkennung. Trotz erwiesener Fälschung hielt eine immer
wieder aufflackernde Rezeption das Interesse der Bevölkerung
für sie wach. Die Moritat kurzweilig erzählt zu haben,
ist dem Autor hoch anzurechnen. Der letzte Teil zeigt, wie
anregend die Prillwitzer Idole für Künstler sein können.
Es ist eine andere Form der Rezeption.
Herr Szczesiak gibt sich in bescheidener Art als Künder
von den Aktivitäten der Neubrandenburger Ausgräber.
Insoweit stellt das Buch eine Art Chronik für die archäologische
Arbeit am Regionalmuseum Neubrandenburg dar, die stets auf
der Suche nach Rethra war, ist und sein wird. Nun werden
Sie sich fragen: Warum erzählt dieser Professor uns dies
alles? Denkt er etwa, das wir nicht lesen können? Ich erzähle
Ihnen dies, weil das Buch für den Annalise-Wagner-Preis
des Jahres 2006 vorgeschlagen und von der Jury ausgewählt
worden ist. Ich kann der Jury nur gratulieren und
beipflichten. Es ist eine im Geiste Annalise Wagners
verfasste Schrift. Sie ist der Heimat verbunden, sie zeugt
von großer Orts- und Detailkenntnis und sie verfolgt die
Absicht, einem größeren Publikum Aufklärung zu geben.
All dies wollte Annalise Wagner, jene resolute, immer
wieder verletzte, zurückgezogen lebende, doch
lebensbejahende Frau, die ihre geistige Auseinandersetzung
mit sich führte und nur für eine kurze Zeit mit der
Herausgabe der Veröffentlichungen aus dem
Karbe-Wagner-Archiv ein Publikum und dadurch Anerkennung
fand.
Lieber Herr Szczesiak, die Anerkennung ihres Buches durch
den Preis ist Ihnen mit der heutigen Verleihung schon
sicher. Ich bin zuversichtlich, daß die Aufnahme in der
Öffentlichkeit ebenso sein wird. Herzlichen Glückwunsch,
Herr Szczesiak, zu diesem Preis.
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