Annalise-Wagner-Preisträger 2006


Rainer Szczesiak: Dankwort

 

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde!
Lieber Herr Prof. Wernicke, herzlichen Dank für Ihre Worte. Es freute mich ganz besonders, dass einer meiner Lehrer, den ich in guter Erinnerung behalten habe, von der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald die Laudatio hielt.

Wie es scheint, so bin ich wohl mit der Erarbeitung der kleinen Publikation - Auf der Suche nach Rethra. Die „Prillwitzer Idole“ - in den Reigen der Rethra-Forscher aufgenommen. Ganz ehrlich, dass war eigentlich nicht mein Ansinnen! Weil mir bewusst war, dass ich mit Rethra ein äußerst heikles Thema berühre!
Meine Bearbeitung der Rethra-Problematik erfolgte ursprünglich als Vorarbeit, quasi als wissenschaftliche Grundlage für die gleichnamige Ausstellung, die 2005 vom Regionalmuseum Neubrandenburg in der Vierrademühle gezeigt wurde. Anstoß für diese Exposition gab das nach wie vor große Interesse der Öffentlichkeit für die Kriminalgeschichte der „Prillwitzer Idole“. Bei der Erarbeitung des Ausstellungsbegleittextes gewann die Rethra-Geschichte gegenüber der Fälscherstory der „Prillwitzer Idole“ nach und nach ein quantitatives Übergewicht. Die Verlagerung des inhaltlichen Schwerpunktes zugunsten der slawischen Religion wurde ausgelöst durch die umfangreiche Literaturlage sowie durch eigene themenbezogene Kenntnisse und Ideen, die sich während der beruflichen Laufbahn ansammelten. Zudem schien es notwendig, angesichts der tagesaktuellen Diskussion über die kommerzielle Nutzung des Namens „Rethra“, die Geschichte der Elbslawen und darin eingebunden die Geschichte der Lutizen und ihres Zentralheiligtums besonders herauszustellen. Das Heft wird komplettiert von einem Reisebericht des international bekannten Künstlers Daniel Spoerri aus der Schweiz, der bei der künstlerischen Auseinandersetzung mit den „Prillwitzer Idolen“ unser schönes Mecklenburg entdeckte. Die Arbeit ist anscheinend gelungen. Die erste Auflage der 2005 im Regionalmuseum Neubrandenburg erschienenen Publikation ist bereits vergriffen, eine Nachauflage ist in Planung.

Mit großer Freude und Dankbarkeit habe ich die Mitteilung aufgenommen, dass genau diese Publikation mit ihren zwei kulturhistorisch interessanten Themen, „Auf der Suche nach Rethra“ und „Die Prillwitzer Idole“ der Annalise Wagner Preis 2006 zuerkannt wurde. Als Autor möchte ich die Gelegenheit nutzen und nochmals allen herzlich danken, die zum Gelingen des Heftes beigetragen haben. Aus der Schar der Mitstreiter verdient der Neubrandenburger Graphiker Paul Ehrhardt eine besondere Erwähnung. Er hat mit viel Einfühlungsvermögen und gestalterischem Geschick ein viel beachtetes Layout erarbeitet. An dieser Stelle möchte ich auch meiner Familie, speziell meiner Frau Ilona danken, die mir während der Autorenarbeit im häuslichen Umfeld viel Rücksicht und Verständnis entgegenbrachte. Mein Dank gebührt auch Dr. Rolf Voß, Direktor des Regionalmuseums Neubrandenburg, der die Publikation bei der Annalise-Wagner-Stiftung zur Prämierung einreichte. Des Weiteren möchte ich der Jury für ihre Entscheidung danken, die mir mit der Auszeichnung der Rethra-„Prillwitzer Idole“-Geschichte persönlich eine große Freude bereitet hat und damit auch die jahrzehntelange erfolgreiche Arbeit des Neubrandenburger Museums sowie vieler ehrenamtlicher Helfer würdigt!

Für die Erarbeitung des Heftes konnte ich aus verschiedenen Gründen keine eigenen archäologischen Untersuchungsergebnisse beisteuern. Ich hatte das Glück, dass für die Erledigung des Vorhabens bereits wichtige Geschichtsdokumentationen zur Verfügung standen. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang die Forschungsergebnisse zu den Elbslawen und zur Regionalgeschichte unter anderem von Franz Boll, Carl Schuchhardt, Joachim Herrmann, Adolf Hollnagel, Eike Gringmuth-Dallmer, Volker Schmidt, Peter Maubach, Hartmut Boek und Peter Starsy. Nur so war es möglich, die Kultur und Religion der Slawen sowie die Genese der regionalen Altertumsforschung, und darin eingebunden die Geschichte der „Prillwitzer Idole“, in Gänze zu präsentieren. Außerdem galt es, die mittelalterlichen über Rethra berichtenden Schriftquellen inhaltlich zu überprüfen. Bei der Beschaffung der dafür erforderlichen Literatur erhielt ich große Unterstützung von der Neubrandenburger Regionalbibliothek.

Auch wenn sich mein Forschungsanteil in Sachen Rethra in Grenzen hält, war mir die damit verbundene Geschichtsproblematik nicht unbekannt. Meinen ersten Kontakt mit dem legendären Heiligtum, natürlich im übertragenen Sinne, hatte ich am 04. August 1980. Damals nahm ich als Mitglied des Jugendklubs „Heinrich Schliemann“ vom Neubrandenburger Museum das erste Mal an den von Volker Schmidt geleiteten Ausgrabungen im Lieps-Raum teil. Der Zufall wollte es, dass ich von diesem Zeitpunkt an bis zum Abschluss des Ausgrabungsprojektes „Südende Tollensesee“ 1987 als Jugendklubmitglied sowie von 1982 an als Museumsassistent auf allen wichtigen Fundstellen tätig war und somit entscheidende Befunde aus eigener Anschauung her kannte. In dieser Zeit, in der ich mein erstes Rüstzeug für den Beruf eines Archäologen vermittelt bekam, war die Rethra-Geschichte mein ständiger Begleiter.

Volker Schmidt, der sich die Lebensaufgabe gestellt hatte, im Liepsraum Rethra zu lokalisieren, beschrieb im Arbeitsgebiet gleich drei mutmaßliche Tempelstandorte. Diese Fundstellen scheiden aber bei sachlich/kritischer Wertung der dortigen Befund- und Fundlage im Vergleich mit den historischen Schriftquellen als Rethra-Tempel eindeutig aus. Zur Bewertung dieser und anderer Rethra-Theorien war es notwendig, die historisch-archäologischen Fakten zur Geschichte der Lutizen und ihres Zentralheiligtums Rethra zu analysieren und daraus ein Suchmuster zu kreieren. Demnach bestand Rethra während des 10. und 11. Jahrhunderts aus einer komplexen Siedlungsstruktur mit Tempelburg, Markt, Garnison und bäuerlichem Hinterland in Gewässernähe. Ein vergleichbares Geschichtsbild liefert uns das Heiligtum Arkona auf der Insel Rügen. Da das lutizische Zentralheiligtum auf dem Stammesgebiet der Redarier lag und diese den Raum Südostmecklenburgs bewohnten, kommt angesichts der theoretischen Überlegungen nur der Niederungsbereich mit den umfangreichen slawischen Besiedlungsresten am Südende des Tollensesees mit der Lieps als Rethra-Standort in Frage. Allein der Tempelort selbst, sein politisch-religiöses Gewicht, konnte im Binnenland ein derart kompaktes slawisches Siedlungszentrum hervorbringen.

Diese Erkenntnis verdanken wir dem beharrlichen Wirken Volker Schmidts sowie den zahlreichen Ausgrabungshelfern und den Neubrandenburger Museumsmitarbeitern, die über viele Jahre lang sehr engagiert an dem Forschungsprojekt „Südende Tollensesee“ mitarbeiteten. Leider ist die gesamte Befundlage im Untersuchungsgebiet zur Zeit nicht ausreichend für eine zweifelsfreie Lokalisierung des Tempelstandortes. „Auf der Suche nach Rethra“ bleibt somit auch weiterhin ein tagesaktueller Slogan. Es sei hier klar gesagt: Auch der von mir favorisierte Tempelstandort auf der Halbinsel Nonnenhof ist lediglich eine Hypothese. Mutmaßungen sollten nicht aus Glaubensgründen oder übersteigertem Geltungsdrang zur Wahrheit erklärt werden.

Ungereimtheiten und kriminelle Energie hat es im Fall des Rethra-Heiligtums schon mehrfach gegeben. Eine besondere Episode im Verwirrspiel um Rethra ist zweifellos die Geschichte der sogenannten „Prillwitzer Idole“, deren Erzeuger die Gebrüder Jacob und Gideon Sponholz aus Neubrandenburg in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts waren. Die erdachte „Göttersammlung“ wurde nach dem kleinen Ort Prillwitz an der Lieps benannt, wohin die Fälscher den angeblichen Fundort der „Kultobjekte“ verlegt hatten. Im Zuge der Recherchen für die erste - „Prillwitzer Idole“ Ausstellung - im Museum Neubrandenburg hatte ich 1989 meine erste Berührung mit dem Lebenswerk von Annalise Wagner, dem Karbe-Wagner-Archiv. Annalise Wagner, die ich persönlich nicht kennenlernte, ist mir als Autorin zahlreicher Publikationen zur Landesgeschichte Ostmecklenburgs seit langem wohl vertraut. Ihre vielgestaltigen, sehr informativen Beiträge hatte ich bereits früh schätzen gelernt. In einem Aufsatz nahm sie auch Stellung zur Problematik der „Prillwitzer Idole“; sie berichtet 1970 über den „Götzenkrieg im Strelitzer Land mit Radegast und seinen Trabanten“. Dem unermüdlichen Wirken, dem großen Engagement Annalise Wagners war es zu verdanken, dass zahlreiche Dokumente, unter anderem auch der Nachlass des bekannten Heimatforschers Walter Karbe der Nachwelt vorliegen. Speziell die Niederschriften von Walter Karbe erwiesen sich als wichtige Informationsquelle für die Darstellung der jüngeren Geschichte der „Prillwitzer Idole“. Von Walter Karbe wissen wir, dass man die Sponholzsche „Göttersammlung“ 1950 bei der Auflösung der Restbestände des Strelitzschen Landesmuseums von Neustrelitz nach Schwerin verbrachte, wo sie knapp 40 Jahre später im Volkskundemuseum Schwerin-Muess „wiederentdeckt“ wurden. Die kulturhistorisch interessanten „Prillwitzer Idole“ zählen zu den spektakulärsten Kunst- und Geschichtsfälschungen der deutschen Forschungsgeschichte.

Die „Suche nach Rethra“ hat in unserer Region zur Ausbildung eines tiefen Geschichtsbewusstseins beigetragen. Sichtbares Zeichen dieser Entwicklung war 1872 die Gründung des Neubrandenburger Museums. Heute besitzt die einzigartige, sagenumwobene Historie Rethras eine große kulturelle Bedeutung, deren Ausstrahlung die breite Öffentlichkeit für die Regionalgeschichte sensibilisiert. Deshalb sollte Rethra als Allgemeingut für alle nutzbar sein. Ganz gleich ob das Lutizen-Heiligtum in der Geschichtsforschung, im Tourismus oder in der Wirtschaft thematisiert wird. Die privatrechtliche Patentierung des Namens „Rethra“ ist, wie kürzlich passiert, sehr bedauerlich, weil damit die Gefahr besteht, dass ein wichtiges Integrationsmerkmal für die öffentliche Darstellung Ostmecklenburgs nur noch eingeschränkt nutzbar ist.

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