Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde!
Lieber Herr Prof. Wernicke, herzlichen Dank für Ihre
Worte. Es freute mich ganz besonders, dass einer meiner
Lehrer, den ich in guter Erinnerung behalten habe, von der
Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald die Laudatio
hielt.
Wie es scheint, so bin ich wohl mit der Erarbeitung der
kleinen Publikation - Auf der Suche nach Rethra. Die „Prillwitzer
Idole“ - in den Reigen der Rethra-Forscher aufgenommen.
Ganz ehrlich, dass war eigentlich nicht mein Ansinnen!
Weil mir bewusst war, dass ich mit Rethra ein äußerst
heikles Thema berühre!
Meine Bearbeitung der Rethra-Problematik erfolgte ursprünglich
als Vorarbeit, quasi als wissenschaftliche Grundlage für
die gleichnamige Ausstellung, die 2005 vom Regionalmuseum
Neubrandenburg in der Vierrademühle gezeigt wurde. Anstoß
für diese Exposition gab das nach wie vor große
Interesse der Öffentlichkeit für die Kriminalgeschichte
der „Prillwitzer Idole“. Bei der Erarbeitung des
Ausstellungsbegleittextes gewann die Rethra-Geschichte
gegenüber der Fälscherstory der „Prillwitzer Idole“
nach und nach ein quantitatives Übergewicht. Die
Verlagerung des inhaltlichen Schwerpunktes zugunsten der
slawischen Religion wurde ausgelöst durch die
umfangreiche Literaturlage sowie durch eigene
themenbezogene Kenntnisse und Ideen, die sich während der
beruflichen Laufbahn ansammelten. Zudem schien es
notwendig, angesichts der tagesaktuellen Diskussion über
die kommerzielle Nutzung des Namens „Rethra“, die
Geschichte der Elbslawen und darin eingebunden die
Geschichte der Lutizen und ihres Zentralheiligtums
besonders herauszustellen. Das Heft wird komplettiert von
einem Reisebericht des international bekannten Künstlers
Daniel Spoerri aus der Schweiz, der bei der künstlerischen
Auseinandersetzung mit den „Prillwitzer Idolen“ unser
schönes Mecklenburg entdeckte. Die Arbeit ist anscheinend
gelungen. Die erste Auflage der 2005 im Regionalmuseum
Neubrandenburg erschienenen Publikation ist bereits
vergriffen, eine Nachauflage ist in Planung.
Mit großer Freude und Dankbarkeit habe ich die Mitteilung
aufgenommen, dass genau diese Publikation mit ihren zwei
kulturhistorisch interessanten Themen, „Auf der Suche
nach Rethra“ und „Die Prillwitzer Idole“ der
Annalise Wagner Preis 2006 zuerkannt wurde. Als Autor möchte
ich die Gelegenheit nutzen und nochmals allen herzlich
danken, die zum Gelingen des Heftes beigetragen haben. Aus
der Schar der Mitstreiter verdient der Neubrandenburger
Graphiker Paul Ehrhardt eine besondere Erwähnung. Er hat
mit viel Einfühlungsvermögen und gestalterischem
Geschick ein viel beachtetes Layout erarbeitet. An dieser
Stelle möchte ich auch meiner Familie, speziell meiner
Frau Ilona danken, die mir während der Autorenarbeit im häuslichen
Umfeld viel Rücksicht und Verständnis entgegenbrachte.
Mein Dank gebührt auch Dr. Rolf Voß, Direktor des
Regionalmuseums Neubrandenburg, der die Publikation bei
der Annalise-Wagner-Stiftung zur Prämierung einreichte.
Des Weiteren möchte ich der Jury für ihre Entscheidung
danken, die mir mit der Auszeichnung der Rethra-„Prillwitzer
Idole“-Geschichte persönlich eine große Freude
bereitet hat und damit auch die jahrzehntelange
erfolgreiche Arbeit des Neubrandenburger Museums sowie
vieler ehrenamtlicher Helfer würdigt!
Für die Erarbeitung des Heftes konnte ich aus
verschiedenen Gründen keine eigenen archäologischen
Untersuchungsergebnisse beisteuern. Ich hatte das Glück,
dass für die Erledigung des Vorhabens bereits wichtige
Geschichtsdokumentationen zur Verfügung standen. Zu
nennen sind in diesem Zusammenhang die
Forschungsergebnisse zu den Elbslawen und zur
Regionalgeschichte unter anderem von Franz Boll, Carl
Schuchhardt, Joachim Herrmann, Adolf Hollnagel, Eike
Gringmuth-Dallmer, Volker Schmidt, Peter Maubach, Hartmut
Boek und Peter Starsy. Nur so war es möglich, die Kultur
und Religion der Slawen sowie die Genese der regionalen
Altertumsforschung, und darin eingebunden die Geschichte
der „Prillwitzer Idole“, in Gänze zu präsentieren.
Außerdem galt es, die mittelalterlichen über Rethra
berichtenden Schriftquellen inhaltlich zu überprüfen.
Bei der Beschaffung der dafür erforderlichen Literatur
erhielt ich große Unterstützung von der Neubrandenburger
Regionalbibliothek.
Auch wenn sich mein Forschungsanteil in Sachen Rethra in
Grenzen hält, war mir die damit verbundene
Geschichtsproblematik nicht unbekannt. Meinen ersten
Kontakt mit dem legendären Heiligtum, natürlich im übertragenen
Sinne, hatte ich am 04. August 1980. Damals nahm ich als
Mitglied des Jugendklubs „Heinrich Schliemann“ vom
Neubrandenburger Museum das erste Mal an den von Volker
Schmidt geleiteten Ausgrabungen im Lieps-Raum teil. Der
Zufall wollte es, dass ich von diesem Zeitpunkt an bis zum
Abschluss des Ausgrabungsprojektes „Südende Tollensesee“
1987 als Jugendklubmitglied sowie von 1982 an als
Museumsassistent auf allen wichtigen Fundstellen tätig
war und somit entscheidende Befunde aus eigener Anschauung
her kannte. In dieser Zeit, in der ich mein erstes Rüstzeug
für den Beruf eines Archäologen vermittelt bekam, war
die Rethra-Geschichte mein ständiger Begleiter.
Volker Schmidt, der sich die Lebensaufgabe gestellt hatte,
im Liepsraum Rethra zu lokalisieren, beschrieb im
Arbeitsgebiet gleich drei mutmaßliche Tempelstandorte.
Diese Fundstellen scheiden aber bei sachlich/kritischer
Wertung der dortigen Befund- und Fundlage im Vergleich mit
den historischen Schriftquellen als Rethra-Tempel
eindeutig aus. Zur Bewertung dieser und anderer
Rethra-Theorien war es notwendig, die historisch-archäologischen
Fakten zur Geschichte der Lutizen und ihres
Zentralheiligtums Rethra zu analysieren und daraus ein
Suchmuster zu kreieren. Demnach bestand Rethra während
des 10. und 11. Jahrhunderts aus einer komplexen
Siedlungsstruktur mit Tempelburg, Markt, Garnison und bäuerlichem
Hinterland in Gewässernähe. Ein vergleichbares
Geschichtsbild liefert uns das Heiligtum Arkona auf der
Insel Rügen. Da das lutizische Zentralheiligtum auf dem
Stammesgebiet der Redarier lag und diese den Raum Südostmecklenburgs
bewohnten, kommt angesichts der theoretischen Überlegungen
nur der Niederungsbereich mit den umfangreichen slawischen
Besiedlungsresten am Südende des Tollensesees mit der
Lieps als Rethra-Standort in Frage. Allein der Tempelort
selbst, sein politisch-religiöses Gewicht, konnte im
Binnenland ein derart kompaktes slawisches
Siedlungszentrum hervorbringen.
Diese Erkenntnis verdanken wir dem beharrlichen Wirken
Volker Schmidts sowie den zahlreichen Ausgrabungshelfern
und den Neubrandenburger Museumsmitarbeitern, die über
viele Jahre lang sehr engagiert an dem Forschungsprojekt
„Südende Tollensesee“ mitarbeiteten. Leider ist die
gesamte Befundlage im Untersuchungsgebiet zur Zeit nicht
ausreichend für eine zweifelsfreie Lokalisierung des
Tempelstandortes. „Auf der Suche nach Rethra“ bleibt
somit auch weiterhin ein tagesaktueller Slogan. Es sei
hier klar gesagt: Auch der von mir favorisierte
Tempelstandort auf der Halbinsel Nonnenhof ist lediglich
eine Hypothese. Mutmaßungen sollten nicht aus Glaubensgründen
oder übersteigertem Geltungsdrang zur Wahrheit erklärt
werden.
Ungereimtheiten und kriminelle Energie hat es im Fall des
Rethra-Heiligtums schon mehrfach gegeben. Eine besondere
Episode im Verwirrspiel um Rethra ist zweifellos die
Geschichte der sogenannten „Prillwitzer Idole“, deren
Erzeuger die Gebrüder Jacob und Gideon Sponholz aus
Neubrandenburg in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts
waren. Die erdachte „Göttersammlung“ wurde nach dem
kleinen Ort Prillwitz an der Lieps benannt, wohin die Fälscher
den angeblichen Fundort der „Kultobjekte“ verlegt
hatten. Im Zuge der Recherchen für die erste - „Prillwitzer
Idole“ Ausstellung - im Museum Neubrandenburg hatte ich
1989 meine erste Berührung mit dem Lebenswerk von
Annalise Wagner, dem Karbe-Wagner-Archiv. Annalise Wagner,
die ich persönlich nicht kennenlernte, ist mir als
Autorin zahlreicher Publikationen zur Landesgeschichte
Ostmecklenburgs seit langem wohl vertraut. Ihre
vielgestaltigen, sehr informativen Beiträge hatte ich
bereits früh schätzen gelernt. In einem Aufsatz nahm sie
auch Stellung zur Problematik der „Prillwitzer Idole“;
sie berichtet 1970 über den „Götzenkrieg im Strelitzer
Land mit Radegast und seinen Trabanten“. Dem unermüdlichen
Wirken, dem großen Engagement Annalise Wagners war es zu
verdanken, dass zahlreiche Dokumente, unter anderem auch
der Nachlass des bekannten Heimatforschers Walter Karbe
der Nachwelt vorliegen. Speziell die Niederschriften von
Walter Karbe erwiesen sich als wichtige Informationsquelle
für die Darstellung der jüngeren Geschichte der „Prillwitzer
Idole“. Von Walter Karbe wissen wir, dass man die
Sponholzsche „Göttersammlung“ 1950 bei der Auflösung
der Restbestände des Strelitzschen Landesmuseums von
Neustrelitz nach Schwerin verbrachte, wo sie knapp 40
Jahre später im Volkskundemuseum Schwerin-Muess
„wiederentdeckt“ wurden. Die kulturhistorisch
interessanten „Prillwitzer Idole“ zählen zu den
spektakulärsten Kunst- und Geschichtsfälschungen der
deutschen Forschungsgeschichte.
Die „Suche nach Rethra“ hat in unserer Region zur
Ausbildung eines tiefen Geschichtsbewusstseins
beigetragen. Sichtbares Zeichen dieser Entwicklung war
1872 die Gründung des Neubrandenburger Museums. Heute
besitzt die einzigartige, sagenumwobene Historie Rethras
eine große kulturelle Bedeutung, deren Ausstrahlung die
breite Öffentlichkeit für die Regionalgeschichte
sensibilisiert. Deshalb sollte Rethra als Allgemeingut für
alle nutzbar sein. Ganz gleich ob das Lutizen-Heiligtum in
der Geschichtsforschung, im Tourismus oder in der
Wirtschaft thematisiert wird. Die privatrechtliche
Patentierung des Namens „Rethra“ ist, wie kürzlich
passiert, sehr bedauerlich, weil damit die Gefahr besteht,
dass ein wichtiges Integrationsmerkmal für die öffentliche
Darstellung Ostmecklenburgs nur noch eingeschränkt
nutzbar ist.
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