Lobende Anerkennung für junge Autoren 2003

Dr. Joachim Lübbert
Begründung der Vergabe einer „Lobenden Anerkennung für junge Autoren“ an Silvio Jacobs


Der erste Träger der “Lobenden Anerkennung für junge Autoren” ist Silvio Jacobs!

Er ist 27 Jahre alt und beendet eben sein Studium der Fächer Geschichte und Wirtschaft für das Lehramt an Gymnasien an der Universität Rostock. Seine „Wurzeln“ hat er hier in Mecklenburg-Strelitz: Er wurde 1976 in Neustrelitz geboren, ging in seinem Heimatort Hohenzieritz zur Schule und legte sein Abitur am Gymnasium Carolinum in Neustrelitz ab. 

Ein Freund überredete ihn, seine an der Rostocker Universität im Rahmen der Ersten Staatsprüfung entstandene Arbeit „Das mecklenburgische Neustrelitz im Kontext frühneuzeitlicher Stadtgründungen“ als Manuskript -Bewerbung um den Annalise-Wagner-Preis einzureichen. Es war die erste Bewerbung die im Januar bei der Geschäftsstelle einging!

Mit seiner wissenschaftlichen Arbeit liegt Silvio Jacobs in einem interessanten Trend: 

Bei Forschungen zum Städtewesen war für Historiker vor allem das Spätmittelalter interessant, als im Gebiet des deutschen Reiches noch Spitzenwerte von 200 Stadtgründungen pro Jahrzehnt nachgewiesen wurden. In den gesamten folgenden 3 Jahrhunderten - der frühen Neuzeit - waren es dagegen nur 400 ! Historiker fragen nun: Kann aus Sicht der Stadtgeschichte vom Anbruch einer neuen Zeit gesprochen werden? Die Forschungen dazu konzentrierten sich lange Zeit auf große Städte oder solche mit überregionaler Bedeutung - Klein- und Mittelstädte wurden weitgehend vernachlässigt. Seit Ende der 80er Jahre aber gibt es einen Wandel: Namhafte Historiker beschäftigten sich mit der wichtigen Rolle, die tausende kleiner Städte im ökonomischen, sozialen und kulturellen Leben des frühen modernen Europa spielten! Dazu gehört Prof. Dr. Kersten Krüger, Professor für Geschichte der Neuzeit an der Universität Rostock. Er motivierte auch seine Studenten, sich wissenschaftlich auseinander zu setzen mit der Frage: „Konnte es in Mecklenburg ebenfalls ein sich entwickelndes , im positiven wie im negativen Sinne, Städtewesen geben, dass sich auf deutschem oder sogar europäischen Niveau befand?“

Der „Fast-Neustrelitzer“ Silvio Jacobs wählte als „Forschungsobjekt“ seiner Untersuchung das 1733 als Residenzstadt gegründete Neustrelitz. Und Neustrelitz ist ein interessantes Beispiel: Es gehört zum „Sondertyp“ einer „Fürstenstadt“, ist ein Vertreter der „Gruppe der Stadtgründungen mit ursächlicher Fremdeinwirkung“ (Brand in Strelitz 1712!) und ist Beispiel für den frühneuzeitlichen Trend der „Verschiebung von Residenzen“ (nach dem Vorbild des französischen Versailles), für deren neue Lage allein die „fürstliche Geschmacksrichtung“ den Ausschlag gab“. Silvio Jacobs weist Parallelen und Unterschiede zu deutschen und europäischen Städten der frühen Neuzeit nach in Bezug auf die Privilegien im Gründungsaufruf, die Herkunft der Bevölkerung, den Stadtplan, die Rechtssprechung und Stadtverwaltung oder die Entwicklung von Städtebau, Bevölkerung, Wirtschaft und Kultur. 

Dafür musste er umfangreiche Quellenarbeit bewältigen, denn: Der wissenschaftliche Ansatz, die Gründung von Neustrelitz in diesen europäischen Kontext zu stellen, ist für die wissenschaftliche Literatur über Neustrelitz neu! Für eine Studentenarbeit gelingt es Silvio Jacobs erstaunlich gut, interessante Quellen aus dem europäischen Forschungsraum, aus Deutschland und aus der Regionalgeschichte zusammenzuführen. Dass er dabei auch kritisch die Publizistik Annalise Wagners einbezieht – und aus wissenschaftlicher Sicht einzelne Aussagen widerlegt – ist an ihrem Geburtstag natürlich zu erwähnen! Es ist ein Zeichen dafür, welche Früchte bis heute ihre Lebensleistung trägt, ihrer Heimatstadt Neustrelitz und der Region Mecklenburg-Strelitz ein „historisches Gedächtnis“ wiederzugeben.

Für den Grundriss der Barockstadt Neustrelitz weist Silvio Jacobs nach, dass ihn theoretisch die Renaissance-Ideen einer „Idealstadt“ und historisch die römischen urbanen Siedlungen prägen – und ganz konkrete europäische Vorbilder eine Rolle spielen:

das 1608 gegründete Henrichemont in Frankreich und das 1699 gegründete Neu-Isenburg. Der quadratische Marktplatz mit diagonalem Achsen- bzw. Straßenkreuz sowie die nicht vollständig Verbindung von Schloss und Stadt durch geometrische Mittel ist entgegen Annalise Wagners Ansicht nicht einzigartig – aber: Neustrelitz „gehört  zu einer Gruppe von Gründungsstädten der Frühen Neuzeit in deutschen Staaten, deren Anlage bewusst durchdacht und kontrolliert wurde“ – und ist damit ein bemerkenswert typisches Beispiel einer Barockstadt. Die „Unstimmigkeiten“ im Stadtbild im Vergleich zu Theorie und Vorbildern begründet er detailliert mit topographischen bzw. finanziellen Ursachen. Und er zieht das Fazit: „Trotzdem konnten auch im angeblich rückständigen Mecklenburg mit Neustrelitz Tendenzen nachgewiesen werden, die im allgemeinen europäischen Trend lagen und eine ... zufriedenstellende Umsetzung gefunden haben.“

Der Student Silvio Jacobs trägt also ein gutes Stück dazu bei, dass ein wichtiges Kapitel Neustrelitzer Stadtgeschichte auf den neuesten wissenschaftlichen Stand gebracht wird und damit ein neuer Mosaikstein in die Erforschung der frühen Neuzeit der Region Mecklenburg-Strelitz eingefügt werden kann. Die Nachhaltigkeit seiner Leistung besteht aber auch darin: Er zeigt, welche Lücken es gibt in der Erforschung der frühneuzeitlichen Urbanisierung in Deutschland - und ganz speziell in der Erforschung der Stadtgeschichte von Neustrelitz. Seine Arbeit regt ganz ausdrücklich an, Forschungen in Angriff zu nehmen, z. B. zur sozialen Struktur, zum Bildungswesen, zu den Stadt-Land-Beziehungen oder zur Rolle des Adels bei der Stadtgründung von Neustrelitz!

Übrigens bewerteten Prof. Dr. Kersten Krüger und Prof. Ilona Buchsteiner die Arbeit mit 1,0! 

Ein Gedanke kam mir übrigens als ich über die Vergabe der „Lobenden Anerkennung“ für dieses Manuskript eines jungen Autoren nachdachte: Es war kein Kriterium der Auswahl – aber es ist ein „schöner Nebeneffekt“: Silvio Jacobs Arbeit ist auch ein Geschenk an die Heimatstadt Annalise Wagners, die in diesem Jahr ihr 270. Gründungsjubiläum begeht! Silvio Jacobs interessante Parallelen zur Stadtgeschichte Europas sind gute Argumente– um einerseits „Bürgerstolz“ auf die einzige Barockstadt der Region Mecklenburg-Strelitz zu motivieren – und um andererseits mit „barocken Pfunden“ auch im Tourismusangebot „wuchern“,  das für die wirtschaftliche Entwicklung gerade unserer Region Mecklenburg-Strelitz nicht zu unterschätzen ist!

Allerdings kann die Stiftung nur darauf aufmerksam machen – würde sich aber sehr freuen, wenn es bald die Möglichkeit gäbe, dieses „Geschenk“ den Bürgern der Stadt Neustrelitz und der Region sowie den zahlreichen historisch interessierten Touristen als Veröffentlichung zu überreichen.

Die von der Stadt Neustrelitz anlässlich Annalise Wagners heutigem 100. Geburtstag ins Leben gerufenen „Neue Schriftenreihe des Karbe-Wagner-Archivs“ bietet dafür ja eine interessante neue Publikationsmöglichkeit!

Und Annalise Wagner würde sie sich über einen Satz besonders freuen, den Silvio Jacobs an „ihre“ Stiftung schrieb: „Diese Auszeichnung motiviert mich zu weiteren Forschungen!“ 

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