Gudrun Mohr: Annalise Wagner (1903-1986)Ihrer Heimatstadt Neustrelitz nach dem Verlust des Landesarchivs (1934), des Landesmuseums (1945) und der Landesbibliothek (1950) ein "historisches Gedächtnis" wiederzugeben, war das erklärte Lebensziel Annalise Wagners. Trotz vieler Widrigkeiten, die sich ihr dabei in den Weg stellten, ist sie mit der Gründung des Karbe-Wagner-Archivs und des neuen Stadtmuseums diesem Ziel nahe gekommen, womit sich die Heimatforscherin, Sammlerin und Autorin bleibende Verdienste erwarb. Annalise Wagner wurde am 19.6.1903 in Neustrelitz als drittes von fünf Kindern des Druckereibesitzers Otto Wagner und seiner Frau Ella geboren. Von 1908 bis 1918 besuchte sie verschiedene Schulen in Neustrelitz und nahm dann eine Lehre im väterlichen Betrieb auf. Von 1919 bis 1927 war sie in Angestelltenverhältnissen in Hamburg, Berlin, München, Leipzig tätig, eine Zeit, die sie gern als "meine Universitäten" bezeichnete. Das reichhaltige Kulturleben dieser deutschen Zentren nutzte sie für ihre persönliche Weiterbildung und für autodidaktische Studien. Dabei entwickelte sie ein bemerkenswertes "literarisches Gegenwartsgefühl", welches noch heute ihre umfangreiche Bibliothek bezeugt, und suchte Kontakt zu namhaften Künstlern und Schriftstellern der Zeit, beispielsweise zu Käthe Kollwitz und Ernst Barlach. Diese Lebensphase beendete sie 1928 / 1929 mit dem Besuch der Buchhändlerlehranstalt Leipzig. 1930 kehrte sie endgültig nach Neustrelitz zurück, zuerst in den väterlichen Betrieb. Einige Jahr später übernahm sie die der Druckerei angeschlossene Buch- und Papierhandlung. Als selbstständige Buchhändlerin und Verlegerin gab sie hauptsächlich heimatkundliches Schrifttum heraus, beispielsweise 1938 Walter Karbes "Strelitzer Allerlei" und "Wanderungen durch Neustrelitz und Umgebung" Mit dem Willen, ihr Leben nach konsequent eigenem Entwurf zu gestalten, geriet sie zwangsläufig mit den beiden deutschen Diktaturen, die ihren Lebensweg prägten, in Konflikt. Nach dem Tode des verdienstvollen Neustrelitzer Heimatforschers Walter Karbe (1877-1956) erbte sie dessen Privatsammlungen und gründete am 6.12.1956 das Karbe-Wagner-Archivs als öffentlich nutzbares Privatarchiv.1957 ehrte sie Walter Karbe mit einer umfangreichen Biografie "Walter Karbe - der sich die Heimat erwanderte", erschienen im Hinstorff-Verlag Rostock. 1965 setzte sie die staatliche Anerkennung des Archivs durch und etablierte die "Schriftenreihe des Karbe-Wagner-Archivs", die heute bereits als "Klassiker" des heimatkundlichen Schrifttums in Mecklenburg-Strelitz gilt. An 13 Heften dieser Schriftenreihe arbeitete sie noch persönlich mit. Hier und in Hunderten von Pressebeiträgen, in Ost und West veröffentlicht, pflegte sie die Erinnerung an verdienstvolle Persönlichkeiten der Region, nahm zu Fragen der Geschichtsschreibung, des Natur- und Landschaftsschutzes, der Denkmalpflege und der Geschehnisse des Alltag Stellung. Annalise Wagner führte eine streitbare Feder, die ihr nur selten Sympathien einbrachten. Im Gegenteil. Stets am Gedanken der Einheit ihres deutschen Vaterlandes festhaltend, hielt sie trotz Verbotes vielerlei Kontakte nach Westdeutschland aufrecht. Damit geriet sie in das Visier des Staatssicherheitdienstes der DDR. Obwohl sie 1973 Wohnhaus, Grundstück und Archiv ihrer geliebten Vaterstadt Neustrelitz schenkte und sie sogar Ehrenbürgerin wurde, folgten Behinderungen vielfältiger Art, besonders in der Publikationstätigkeit. Die damit verbundenen Querelen und Benachteiligungen empfand sie als tiefe persönliche Kränkung, die sie bis zu ihrem Lebensende nicht mehr verkraftete. Am 26.6.1986 starb Annalise Wagner vereinsamt in der Neustrelitzer Wohnung an Herzversagen. Ihrem testamentarischen Wunsche entsprechend ging ihr Nachlass an die damalige Stadt- und Bezirksbibliothek Neubrandenburg. Nach der politischen Wende 1990 waren alle Voraussetzungen gegeben, die Vermächtnisse dieses Lebens zu erfüllen. Mit einem Teil des nachgelassenen Barvermögens konnten umfangreichen Sanierungs- und Erneuerungsarbeiten in Museum Neustrelitz und im Karbe-Wagner-Archiv unterstützt werden. Der größere Teil bildete den finanziellen Grundstock für die "Annalise-Wagner-Stiftung", welche 1991 als erste Kulturstiftung des Landes Mecklenburg-Vorpommern durch die Stadt Neubrandenburg errichtet wurde. Der jährlich vergebene Förderpreis für heimatkundliches Schrifttum trägt nun den Namen Annalise Wagners. |